Steigende Kosten schweben wie ein Damoklesschwert über den Menschen

Die Preise für Energie sind 2022 explodiert. Eine große Herausforderung für Menschen, die ohnehin schon wenig haben. Eine Herausforderung auch für soziale Einrichtungen wie Altenheime, Kitas oder Krankenhäuser. Im Interview schildert Michaela Hofmann, Referentin für Armutsfragen, welche Sorgen die Menschen umtreiben. 

Frau Hofmann, was bedeutet die Energiepreisentwicklung für Menschen mit wenig Geld? 


Michaela Hofmann: Was uns die Leute in unseren Beratungen rückmelden, ist, dass sich bei ihnen gerade alles darauf zentriert, den Lebensunterhalt zu sichern. Dazugehört insbesondere, die Wohnung, den Strom und das Heizen zahlen zu können. Sie haben Angst davor, dass sie die Wohnung verlieren, im Dunkeln oder Kalten sitzen und nicht kochen zu können. Das ist anders als in den Jahren zuvor, und das macht den Menschen Angst. Hinzu kommt, dass alles, was an Geld in die Energie fließt, nicht mehr für andere Dinge des täglichen Lebens zur Verfügung steht. Das Problem ist inzwischen auch in der Mittelschicht angekommen. Auch Haushalte mit mittlerem Einkommen fürchten sich davor, ihre Strom- und Gasrechnung nicht mehr bezahlen zu können. 


Wie hat sich die Situation im Laufe des Jahres 2022 verändert? 


Michaela Hofmann: Am Anfang herrschte Durcheinander, es gab immer neue Schreckensmeldungen, was die Energiepreise anging, und wir haben eine enorme Angst und Unsicherheit bei den Menschen gespürt. Dann gab es die einzelnen Entlastungspakete, und damit ging eine Beruhigung einher. Inzwischen würde ich sagen, die Leute haben gelernt, damit umzugehen, doch die zu erwartenden Kosten hängen nach wie vor wie ein Damoklesschwert über ihnen. Gleichzeitig sind sie damit beschäftigt, alle anderen durch die Inflation gestiegenen Preise aufzufangen. Ich habe den Eindruck, momentan ist es wie bei der Ruhe vor dem Sturm: Man weiß, dass was kommt, aber nicht genau, was. Und auf was soll man sich dann vorbereiten? Denn viele Abschlagszahlungen wurden erhöht, aber eine Endabrechnung für 2022 hat noch niemand. 


Helfen die geplanten Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung? 


Michaela Hofmann: Einem Teil der Menschen werden die Hilfen Entlastung verschaffen, und sie werden damit zurechtkommen. Doch es wird auch einen Teil geben, bei denen das nicht reicht. Hier setzt dann Beratung an. Es wird geschaut, ob zusätzliche Leistungsansprüche bestehen. Dies wird vor allen Dingen die Gruppen betreffen, die vorher nie damit gerechnet haben, oder die gesagt haben: Ich will nicht zum Sozialamt oder Jobcenter gehen. Es gilt diesen Menschen nahezubringen, das vielleicht jetzt doch tun zu müssen, um nicht immer tiefer in die Schuldenfalle zu geraten. 


Was bedeutet das für Sie und Ihre Dienste? 


Michaela Hofmann: Wir haben eine enorme Zunahme an Anfragen sowohl telefonisch als auch persönlich. Da wird immer wieder gefragt: Was kann ich denn noch machen? Gerade die Menschen, die im Niedriglohnbereich tätig sind, beschäftigen sich sehr viel damit, wie sie ihre Lebenssituation stabil halten können. Die Beratungssituationen dauern länger, weil in jedem einzelnen Fall die individuelle finanzielle Situation analysiert werden muss. Sind Leistungen nach dem ALG II zusätzlich zum Einkommen zu beantragen oder Wohngeld oder Kindergeldzuschlag? Dies sind hier die vorrangigen Fragen. Die Menschen, die bereits im Leistungsbezug sind, kommen und fragen nach Möglichkeiten zusätzlicher Unterstützung, etwa durch Stiftungsmittel, oder sie möchten, dass wir ihre Bescheide vom Jobcenter durchgehen. Und ich glaube, dass auch diejenigen, die die Raten für ihr Eigenheim nicht mehr bedienen können, weil sich gerade die Zinsen erhöhen, um Beratung nachfragen werden. 

Dazu brechen viele Konflikte in Familien über die finanziellen Sorgen wieder auf. Auch das belastet die Menschen sehr stark und bedarf der Beratung. Eltern melden sich und sind unglücklich darüber, dass ihre Kinder, die eine Ausbildung machen und noch zu Hause wohnen, sich mit an Miete und Heizungskosten beteiligen müssen. Dabei wollten sie ihren Kindern doch einen guten Start ermöglichen. Bei all diesen Fragen und Problemen mit den Leuten im Gespräch zu bleiben, Möglichkeiten aufzuzeigen und zu besprechen, damit sie eine gute Entscheidung treffen können, das ist Beratungsarbeit, die nicht in fünf Minuten getan ist.


Wie ist die Situation für die sozialen Einrichtungen durch die hohen Energiepreise? 


Michaela Hofmann: Die soziale Infrastruktur wird zu einem Teil über die sich im Gespräch befindliche Gas- und Strompreisbremse mitbedient und auch von Nachverhandlungen mit den Kostenträgern und einem Härtefallfonds ist die Rede. Es zeigt sich, dass schon versucht wird, unsere Dienste und Einrichtungen zu unterstützen, aber ganz rund ist das Ganze noch nicht. Deshalb wurde vonseiten der Freien Wohlfahrtspflege NRW auch um einen runden Tisch gebeten, der von Ministerpräsident Wüst einberufen werden soll. Momentan kann der gesamte Bereich noch nicht abschließend beurteilt werden.


Wie bewerten Sie die Maßnahmen? 


Michaela Hofmann: Man kann immer meckern, und all die Förderprogramme werden nie genug und richtig sein. Ich finde allerdings, dass die Bundesregierung momentan versucht, möglichst viele Entlastungen umzusetzen. Da nicht vorhergesagt werden kann, ob das reicht oder ob irgendetwas anderes fehlt, muss immer wieder reflektiert werden, um herauszufinden, wo nachgebessert werden muss. Ich glaube nicht, dass irgendjemand daran gelegen ist, die soziale Infrastruktur mit den Problemen allein zu lassen, denn dass diese dringend gebraucht wird, weiß jede Politikerin und jeder Politiker seit Corona. Zusammenfassend kann ich sagen: Ich bin nicht zu 100 Prozent zufrieden mit dem, was da läuft, und das alles ist noch nicht richtig ausdifferenziert, aber es ist eine Grundlage, und die müssen wir weiterbearbeiten. Wir dürfen jetzt nicht die Hände in den Schoß legen.



Das Gespräch führte Barbara Allebrodt im November 2022.

© Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V.

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Redaktion: Markus Harmann (verantwortlich), Barbara Allebrodt, Pia Klinkhammer, Sandra Kreuer, Anna Woznicki, Michaela Szillat


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